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30.6.2001
Lebendige Sprache
Die Rechtschreibreform hat durch Regelaufweichung einen Beitrag geleistet - Glosse

Von Matthias Kamann

Heute feiert eine Freundschaft Geburtstag. Sie ist erst fünf Jahre alt, aber sie hat sich bereits bewährt: die Freundschaft zwischen der deutschen Schriftsprache und ihren Benutzern. Heute vor fünf Jahren unterzeichneten die Vertreter von acht Staaten, in denen Deutsch gesprochen wird, eine Absichtserklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung.

Dies führte zu einer Reform, durch die sich die Beziehung der Schreibenden zur Sprache aufs Erfreulichste gewandelt hat. Aus einem von Duden-Bürokraten verwalteten Autoritätsverhältnis, bei dem die Benutzer stets nur als Diener eines sakrosankten Gesetzes vorkamen, wurde ein Verhältnis freier Partner, die aufeinander Rücksicht nehmen.

Einerseits passte sich das Regelwerk dem Wunsch der Schreibenden nach Vereinfachung und Logik durch die Neuregelung der ß/ss-Schreibung und eine größere Transparenz bei Getrennt- und Zusammenschreibung an. Andererseits sorgte die bei solchen Änderungen unvermeidliche Verunsicherung dafür, dass die Schreibenden darüber nachzudenken begannen, welche Schreibung der Sprache am ehesten entspricht: So führte bei der Trennung der Abschied von der gewaltsamen Verwandlung des ck ins k-k nicht etwa zur "Buche-cker", sondern zur Überlegung, was am besten aussieht, also zur Buch-ecker und zum Verzicht auf Buchek-ker und Buche-cker, die der Sprache Gewalt antun.

Mithin hat gerade der Verbindlichkeitsverlust, der das Regelwerk wegen der Übergangsregelungen und der Nachbesserungen befiel, zu einer genaueren Betrachtung des Erscheinungsbildes und der Logik der Schriftsprache geführt. Dass dabei manche Privatlogik und Unregelmäßigkeit ins Spiel kam, ist zwar nicht zu bestreiten. Doch hat dies erstens der Verständlichkeit schriftlicher Äußerungen in keiner Weise Abbruch getan. Das beweist zweitens, dass die Menschen bei ihrer schriftlichen Kommunikation mit weit weniger Zwangsmitteln auskommen, als es die Priester der Duden-Religion gern hätten. Und drittens ist das Deutsche eine lebende Sprache, in deren weiterer Entwicklung sich manche Unregelmäßigkeit gewiss noch abschleifen wird.

Zu dieser Entwicklung in lebendiger Vielfalt - in der auch der Eigensinn einer Frankfurter Tageszeitung und einiger Buchverlage einen gern zuerkannten Platz findet - hat die Rechtschreibreform durch Regelaufweichung einen wesentlichen Beitrag geleistet. Sie ist eines der wenigen Deregulierungsprojekte, die den Deutschen gelungen sind.


Quelle: Die Welt; per Mail geschickt bekommen...

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