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30.1.2004
Kommission statt Konferenz
Kultusminister ohne Rechtschreib-Kompetenz

Von Heike Schmoll

29. Januar 2004 Künftig soll die "Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung" über alle Änderungen selbständig entscheiden können. Das wird die Amtschefkommission "Rechtschreibung" der Konferenz der Kultusminister (KMK) in der kommenden Woche beschließen und den Kultusministern im März vorschlagen. Nach der bisher geltenden Rechtslage brauchte die Kommission das Einverständnis der KMK, weil die am Mannheimer "Institut für deutsche Sprache" angesiedelte Zwischenstaatliche Kommission nur ein Vorschlagsrecht hatte.

Die Kommission schlägt in ihrem vierten Bericht zur Rechtschreibreform vor, zur einzigen und letzten Instanz ernannt zu werden. Die Kommission hat den staatlichen Stellen bisher alle zwei Jahre Bericht erstattet, künftig soll das nur noch alle fünf Jahre geschehen.

„Überlastung der Politik“

Die Kultusminister wollen die Verantwortung für Sprachregelungen schon lange abgeben. Die Befassung mit Sprachregelung führe zu einer "Überlastung der Politik mit Fragen, die einer politischen Bewertung nicht zugänglich und allein fachlich zu entscheiden sind", heißt es in der Vorlage der Amtschefkommission. Die Zwischenstaatliche Kommission sollte "die Funktion übernehmen, die zuvor von der Dudenreaktion wahrgenommen wurde". Die Dudenredaktion hat jedoch nicht gewaltsam in die deutsche Schriftsprache eingegriffen, sondern ließ nur das zur Regel werden, was sich aus guten Gründen durchgesetzt hat.

Bis zum Jahr 1995 habe die Duden-Redaktion schließlich alle Neuerungen eigenständig beschlossen, im Vergleich dazu sei das Verfahren mit einer Zwischenstaatlichen Kommission unter Beteiligung Österreichs und der Schweiz "ungeheuer demokratisch", sagte einer der Vorsitzenden der Amtschefkommission dieser Zeitung. Er verwies auf den Beirat, in dem Schriftstellerverbände, Verleger, der Journalistenverband und Schulbuchverlage vertreten sind. Dieser könne doch als Korrektiv wirken. Außerdem gehe es nicht um grundlegende Änderungen, sondern um eine größere Regelfreiheit.

Regelungskompetenz in staatlichen Händen

Bei der Rechtschreibreform ging es ursprünglich weniger um sprachliche Änderungen als darum, die Regelungskompetenz einem Privatverlag zu nehmen und in staatliche Hände zurückzubringen. Einhellig sind Ministerialbeamte und Minister jedoch inzwischen der Meinung, daß sich die Politik damit übernommen hat. Künftig sollen nur Änderungen von grundsätzlicher Bedeutung, etwa die Einführung der Kleinschreibung von Substantiven solle den politischen Instanzen überlassen bleiben. Dazu sei eine Änderung der Wiener Absichtserklärung vom 1. Juli 1996 zur Durchsetzung der Rechtschreibreform sowie eine andere Aufgabenbeschreibung der Kommission erforderlich, heißt es in der Vorlage.

Doch die Kultusminister sollen nicht nur beschließen, wer künftig Änderungen vornimmt, sondern sie sollen vor allem den vierten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission mit allen darin vorgeschlagenen Änderungen amtlich machen. Außerdem soll das Regelwerk nun vom 1. August 2005 an verbindliche Grundlage für den Unterricht an allen Schulen sein. Vom 31. Juli 2005 an sollen alle Fälle alter Rechtschreibung als Fehler markiert werden. Begründet wird die endgültige Einführung damit, daß die Rechtschreibreform weitgehend akzeptiert worden sei, von den Lehrern positiv bewertet werde und 75 Prozent der Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt nach den neuen Regeln gedruckt würden. Repräsentative Untersuchungen über die Haltung zur Rechtschreibreform liegen jedoch nicht vor. In Wirklichkeit, so wenden die Kritiker der Rechtschreibreform ein, breite sich die Neuschreibung aus, weil sie den Zeitungsredaktionen aufgenötigt worden sei und einige Geschicklichkeit dazu gehöre, sie aus den Voreinstellungen der Textverarbeitungsprogramme zu entfernen.

„Vor Kurzem“ und „die Meisten“

Daß sich die Regelungen vor allem zur Getrennt- und Zusammenschreibung in ihrer Widersprüchlichkeit nicht bewährt haben, hat die Zwischenstaatliche Kommission offensichtlich selbst erkannt. Sie schlägt in ihrem vierten Bericht deshalb zahlreiche "Anpassungen" vor. Die zahlreichen Appelle der Schriftsteller, zuletzt auf der Buchmesse im vergangenen Herbst vorgebracht, die Rechtschreibreform wegen ihrer sinnentstellenden Wirkung ganz zurückzunehmen, wurden in der Beschlußvorlage ebenso wenig berücksichtigt wie die gemeinsame Erklärung der deutschen Akademien der Wissenschaften und der schönen Künste oder der Kompromißvorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Da die Kommission um jeden Preis vermeiden will, bisher gültige Regelungen aufzuheben oder zurückzunehmen, werden nun Varianten zu den bisherigen Regelungen zugelassen. Sie wolle mit Regelpräzisierungen und Einzelfalländerungen auf die geäußerte Kritik an der Getrennt- und Zusammenschreibung reagieren, heißt es in der Vorlage der Amtschefs. Neben "Leid tun" soll jetzt "leidtun" treten. Die bewährte und einzig richtige Schreibung "leid tun" bleibt aber zumindest in der Schule falsch. Begründet wird die Zulassung der Variante damit, daß sich eine eindeutige Entscheidung für den adjektivischen oder substantivischen Gebrauch fällen lasse.

Dafür wird die Großschreibung erweitert: künftig soll es nicht nur "im Allgemeinen", sondern auch "vor Kurzem" und "die Meisten" heißen. Zulassen will die Kommission auch wieder die Großschreibung fester Begriffe wie "Erste Hilfe", was nach der gültigen Regelung falsch war. Nun soll durch eine bloße Erläuterung rückgängig gemacht werden, was jahrelang für Unmut gesorgt hatte. Selbst die Nachrichtenagenturen hatten sich von der Schreibweise distanziert. Auch die Wiederzulassung der Großschreibungen allein betrifft einige hundert Wörter, die in den Wörterbüchern korrigiert werden müßten. Die Reformer argumentieren, es handele sich eigentlich nicht um Änderungen, denn Fachsprache sei von der Reform ohnehin nicht betroffen gewesen. Die noch größere Unsicherheit der Schreibenden wird ihnen von den Reformern als "größere Freiheit" schmackhaft gemacht.

Unverändert bleiben sollen die neuen Regeln zur Worttrennung, die sich an den Sprechsilben und nicht an Wortbestandteilen orientiert. All diese Änderungen seien, so die Kommission, möglich, ohne daß neue Wörterbücher notwendig würden, denn das wollen die Amtschefs auf keinen Fall. "Da keine Schreibweisen falsch werden und insofern weder bei Schulbüchern noch bei Rechtschreibprogrammen oder ähnlichen Erzeugnissen ein kurzfristiger Änderungsbedarf besteht, geht die Kultusministerkonferenz davon aus, daß keine besonderen Kosten entstehen werden", heißt es in der Vorlage, die am 5. Februar von den Amtschefs verabschiedet werden soll. Doch daran gibt es erhebliche Zweifel. Sprachwissenschaftler rechnen angesichts der Menge von Änderungen damit, daß alle orthographischen Handbücher neu gedruckt werden müssen, von Schulbüchern ganz zu schweigen.


Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.1.2004; per Mail geschickt bekommen...

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