Interessante, auf diese Seite passende Infos bitte per eMail. Danke!
zurück...

3.2.2004
Rechtschreibreform
Fehler werden "Varianten"

Von Heike Schmoll

02. Februar 2004 In dieser Woche soll die sogenannte Zwischenstaatliche Kommission als maßgebliche deutsche Sprachinstanz von den Amtschefs der Konferenz der Kultusminister (KMK) inthronisiert werden. Die KMK müßte dann - wie so häufig - dem Beschluß der Amtschefs Anfang März nur noch zustimmen. Bisher wurde das Einverständnis der KMK für jede Änderung nötig, weil die am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache angesiedelte Kommission nur ein Vorschlagsrecht besaß.

Es käme wohl beiden Beteiligten entgegen, wenn sich das nun änderte. Denn die Kultusminister wären die Rechtschreibreform lieber heute als morgen los, und die Zwischenstaatliche Kommission hätte ihre Machtfülle auf ein ungeahntes Maß ausgedehnt: "Die Kommission ist die zentrale Anlauf- und Schlichtungsstelle für Probleme der Orthografie im deutschen Sprachraum. Sie gibt Auskunft über Regelauslegungen (hauptsächlich über die Geschäftsstelle am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim)", heißt es in dem bisher geheimgehaltenen vierten Bericht, der dieser Zeitung vorliegt.

„Spürbare Erleichterungen bei den Erstlernern“

Darin verlangt sie auch die Einrichtung einer wissenschaftlichen Arbeitsstelle für Orthographie mit einem hauptberuflich tätigen Wissenschaftler im Dienste der Kommission, obwohl solche Forschung am Mannheimer Institut schon betrieben wird. Setzt sich der Wille der Kommission durch, war der vierte Bericht der letzte in der bisherigen Weise. Künftig will sie sämtliche Änderungen im Alleingang durchsetzen und den Kultusministern nur noch alle fünf Jahre von vollendeten Tatsachen berichten.

Zu Beginn des vierten Berichts wird die hohe Akzeptanz der Rechtschreibreform bekräftigt und auch behauptet, daß viele der Regelungen "spürbare Erleichterungen bei den Erstlernern gebracht" hätten; Nachweise werden dafür jedoch nicht erbracht. Viele Grundschullehrer können diese Feststellung nicht bestätigen, sondern berichten eher, daß sich die Fehler verschoben hätten. Ob es sich bei "das" um einen Artikel oder eine Konjunktion handelt, muß ein Schüler mit und ohne Rechtschreibreform erkennen können.

„Das 8-Fache", „das 8fache" oder „das Achtfache"

In allen sechs Bereichen der Rechtschreibreform (Laut-Buchstaben-Zuordnungen, Getrennt- und Zusammenschreibung, Schreibung mit Bindestrich, Groß- und Kleinschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung am Zeilenende) werden Regelpräzisierungen, Einzelfalländerungen und die geänderte Darstellung festgelegt. Präzisierungen werden dabei möglichst nur als redaktionelle Verbesserungen ausgegeben, um die betroffenen Verlage nicht zu verunsichern. Im Fazit der Kommission, das jeweils auf die Diskussion der in den Jahren 2002 und 2003 geäußerten Kritik folgt, stellt die Kommission deshalb mit wenigen Ausnahmen immer fest, daß sie "eine Rücknahme neuer Schreibungen nicht" befürworte. In der Tat wird die Rückkehr zu bewährten Schreibungen um jeden Preis vermieden, statt dessen von Varianten gesprochen, die so abenteuerlich aussehen können wie "das 8-Fache". Zugelassen bleibt aber auch "das 8fache" oder "das Achtfache".

Von einer kostenneutralen Übernahme der jetzt vorgelegten Präzisierungen kann überhaupt nicht die Rede sein. Das bestätigt eine Äußerung des Beirats, der nicht etwa, wie von der KMK zunächst geplant, als einigermaßen unabhängiges Korrektiv wirken kann. Im Beirat sitzen Vertreter der Verlage und der sogenannten Anwender. Diesem Gremium scheint es vor allem darum zu gehen, die Neuregelung auf jeden Fall durchzusetzen, um seine Geschäftsinteressen zu verfolgen und nicht den politischen Gesichtsverlust für die Kultusminister verantworten zu müssen. Die Frage ist nur, ob der Gesichtsverlust nicht größer ist, wenn die Kultusminister sich zu den Erfüllungsgehilfen eines durchschaubaren Manövers machen, mit dem Kritik unterdrückt und die Reform durchgesetzt werden sollen. Der Beirat empfiehlt deshalb, die Änderungen so gering zu halten, daß "die Auswirkungen der Regelmodifizierungen nicht zu einer erneuten öffentlichen Infragestellung der Neuregelung führen können".

Eingedeutsche Formen

Ausdrücklich fordert er die deutschen Vertreter der Zwischenstaatlichen Kommission auf, sich bei den staatlichen Stellen intensiv dafür zu verwenden, daß die Kultusminister "frühzeitig im Frühjahr 2004 das Paket der Präzisierungen beschließen, damit genügend Zeit für die Umsetzung in Schulbüchern, Wörterbüchern, Zeitungen, Softwareprogrammen und anderen Publikationen bleibt".

Viele tausend Änderungen in den Wörterbüchern erfordert allein der Beschluß der Kommission, bei der Fremdwortschreibung künftig nicht mehr zwischen Haupt- und Nebenvariante zu unterscheiden und dazu noch die eingedeutschte Form an die erste Stelle zu setzen. "Portmonee" wird also vor "Portemonnaie" genannt, "Spagetti" vor "Spaghetti". Begründet wird dieser Schritt damit, daß die Schreibgemeinschaft die eingedeutschte Form "immer mehr akzeptiert und nicht selten dann sogar bevorzugt". Wer gehofft hatte, daß die jedem Kenner der bewährten Schreibung zuwiderlaufenden Wörter wie "einbläuen, belämmern, schnäuzen, Tollpatsch" geändert würden, irrt.

Vergrößertes Chaos

Zahlreiche neue Verbgefüge müssen in den Wörterbüchern korrigiert werden, weil die Kommission die Liste von Partikeln, die mit dem Verb zusammengeschrieben werden müssen, um 13 erweitert hat. Anstatt die Liste ganz zu öffnen, will sie nach eigener Aussage "den Charakter einer geschlossenen Liste" aufrechterhalten und fügt deshalb "dahinter-", "davor-", "hintendrein-", "nebenher-" hinzu.

Als verläßliches Kriterium, trennbare Verben von adverbialen Fügungen zu unterscheiden, wird die Nichtunterbrechbarkeit eingeführt, was sich in der Praxis nicht bewährt. Denn die Verbpartikel "mit" läßt sich durchaus verschieben. Wenn es etwa heißt "der Minister hat seinen Referenten oft mit auf Reisen genommen" wird das Partikelverb "mitnehmen" verwendet. Auch an der 1996 festgesetzten Schreibung "Pleite gehen" und "Bankrott gehen" wird nicht gerüttelt, sie gelte analog zu "Gefahr laufen" und "Schlange stehen", erläutert die Kommission, die damit das Chaos vergrößert. Denn bei "pleite und bankrott" handelt es sich um Adjektive wie "kaputt, verloren". Das ebenfalls grammatisch falsche "Recht/Unrecht haben" soll ebenso beibehalten werden wie "Not tun" und "Acht geben" - diese Wörter tauchen aber im Bericht der Kommission gar nicht erst auf.

Gestörter Lesefluß

Wie recht die Kritiker hatten, als sie bemängelten, daß Verbindungen mit Partizipien automatisch getrenntgeschrieben werden, zeigt sich daran, daß künftig "Zeit sparend" und "zeitsparend" möglich sind. Eine völlig falsche Schreibung wie "Diese Methode ist Zeit sparend" wird dadurch aber nicht aus dem Verkehr gezogen. Denn dabei handelt es sich um einen prädikativen Gebrauch, den die Kommission offenbar selbst nicht beherrscht, sonst hätte sie nicht geschrieben, daß "die Umsetzung der Rechtschreibregelung in den Korrekturprogrammen diverser Softwareproduzenten nicht zufrieden stellend sei". Hier hätte eindeutig "zufriedenstellend" stehen müssen.

Während es bisher auch für die Kommission selbstverständlich war, "bei weitem" und "vor kurzem" zu schreiben, sollen feste Verbindungen aus Präposition und dekliniertem Adjektiv künftig auch groß geschrieben werden können. Die häufig vorkommenden Fügungen "binnen kurzem", "von nahem", "von neuem", "bis auf weiteres" in Großschreibung ("bis auf Weiteres") werden die Lesbarkeit von Texten nicht erhöhen, ganz im Gegenteil.

Das gilt auch für die Zeichensetzung, die völlig ungeändert beibehalten werden soll, sowie für die Worttrennung am Zeilenende. Es stört den Lesefluß eines mitdenkenden Lesers, wenn einzelne Vokalbuchstaben am Zeilenende einfach abtrennt werden: "Ü-bergang". Während die Trennung von "st" in der bewährten Schreibung strikt verboten war, hat die Rechtschreibreform nach langem Vokal oder Diphtong "hu-sten" und "hus-ten" zugelassen. Bei kurzem Vokal will die Kommission aber nur die bisher falsche Schreibung zulassen: "fas-ten" und "bes-te" können also nur so getrennt werden. Wer diese "Präzisierungen" zur Kenntnis genommen hat, kann nur zu dem Schluß kommen, daß sich am allgemeinen Schreibchaos nichts geändert hat und die Rückkehr zur bewährten Schreibung mit wenigen Änderungen dringlicher denn je wird.


Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.2.2004; per Mail geschickt bekommen...

zurück...
Interessante, auf diese Seite passende Infos bitte per eMail. Danke!