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9.7.2004
Die sogenannte Rechtschreibreform
Der nächste Duden kommt bestimmt: Ein Zwischenstand nach acht Jahren

Von Reinhard Markner

Daß die von ihren Erfindern so genannte Rechtschreibreform ihren Namen mit Recht trägt, ist häufig bezweifelt worden. Kritiker sprachen vorzugsweise von der »sogenannten Rechtschreibreform«. Das hatte einen Doppelsinn.
Der Begriff »Reform« impliziert eine Veränderung zum Besseren; die durch ihn bezeichnete Maßnahme ist immer schon Teil dessen, was man als »Fortschritt« bezeichnet. Gewisse Abnutzungserscheinungen sind zwar nicht zu übersehen, aber noch ist die Rede von notwendigen, anzupackenden und durchzusetzenden Reformen ein zentraler Bestandteil der politischen Rhetorik. Nimmt man die Verheißungen des Begriffs ernst, paßt er jedoch schlecht zu der 1996 beschlossenen Rechtschreibreform. Denn durch diese ist die deutsche Orthographie weder einfacher noch eindeutiger und schon gar nicht moderner geworden.
Die Wortwahl »sogenannte Rechtschreibreform« machte nicht nur auf diesen Umstand aufmerksam, sondern zugleich auf eine der skandalösesten Folgen der amtlichen orthographischen Regelung: die Tilgung des ganz gewöhnlichen und vollkommen unanstößigen Adjektivs »sogenannt« aus dem deutschen Sprachschatz. Sein Schicksal stand stellvertretend für einige Tausend weiterer Wörter. Im Sinne des Regelwerks galten sie nur noch als »Wortgruppen«, die aus den Wörterbüchern zu streichen waren: achtgeben, auseinanderhalten, ebensogut, ekelerregend, gutgelaunt, übriglassen, zuviel . . .
Die Reklame für den neuen Duden, der gegenwärtig gedruckt wird, hebt wie üblich auf die 5000 neuaufgenommenen Einträge ab, unter ihnen Billigflieger, Ich-AG und Sars. Ihre langfristigen Überlebenschancen sind nicht allzu günstig, im Unterschied zu jenen Wörtern, die nun, nach acht Jahren, von Staats wegen rehabilitiert sind, aber vom Verlag nicht eigens beworben werden: daransetzen, hochdosiert, nichtssagend, vornüberbeugen und manche andere mehr, unter ihnen auch sogenannt. Schon vor vier Jahren war im Duden die klammheimliche Wiederaufnahme von besorgniserregend, furchteinflößend und anderen Wörtern dieses Musters zu verzeichnen. Jetzt zündet die zweite Stufe der Reform der Reform, und wenn es im gleichen Tempo weiterginge, hätte die deutsche Sprache in etwa zwanzig Jahren wieder eine Rechtschreibung, die allen Anforderungen genügt. Bis auf weiteres aber bleiben Wörter wie zum Beispiel fertigstellen, Handvoll, kennenlernen und Zeitlang offiziell verboten.
Im Grunde fällt natürlich die Frage, ob bestimmte Wörter überhaupt existieren, gar nicht in das Gebiet der Rechtschreibung, sondern in das der Wortbildung. Aber die Reformstrategen haben sich vor etwa fünfundzwanzig Jahren vorgenommen, das schwierige Gebiet der Zusammen- und Getrenntschreibung einer strengen Normierung zu unterwerfen. Eines der Ergebnisse ihrer Arbeit war, daß man heute gewöhnlich von Getrennt- und Zusammenschreibung spricht, nicht umgekehrt. Ein anderes war die Ausmerzung ungezählter Wörter, deren Daseinsberechtigung bis dahin niemand ernstlich bezweifelt hatte.
Als Paradebeispiel für die mit der Reform erzielten Vereinfachungen galt die Wiedereinführung der altertümlichen Schreibung »Rad fahren« anstelle von »radfahren«. Auf die Substantivierung »das Radfahren« sollte sich diese Änderung gar nicht erstrecken. Aber zwischen Verben und ihren Substantivierungen bestehen nun einmal enge Beziehungen, und so darf es niemanden verwundern, daß etwa die Stadt Köln glaubt, mit »so genannten Schutzstreifen« könne »das Rad fahren sicherer gemacht werden«. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club präsentiert eine andere Lösung, wenn er verspricht, überall seine »Kompetenz rund um das Fahrrad und das Rad Fahren« einzubringen. Diese Kompetenz erstreckt sich offensichtlich nicht auf so elementare sprachliche Fragen wie die Schreibung von »Radfahren«.
Die jüngsten Beschlüsse der Kultusministerkonferenz, derentwegen ein neuer Duden auf den Markt gebracht werden kann, ziehen unter anderem auch die Wiederzulassung des Adjektivs »radfahrend« nach sich. Der Jubel wird verhalten sein, denn längst haben sich die Zeitungsleser an Konstrukte wie »Herz zerreißend« gewöhnen müssen, Kollateralschäden der Reform. »Die Leid Tragenden sind die Kinder«, stand im letzten Duden aus dem Jahr 2000 – als Beispielsatz, aber wohl auch als subversiver Kommentar zur reaktionären deutschen Sprachpolitik.
Obwohl die orthographische Umstellung durch die Korrekturmodule der Textverarbeitungsprogramme erleichtert und befördert wurde, sind die Fehlerzahlen überall angestiegen, im öffentlichen Sprachgebrauch ebenso wie an den Schulen. Die Kultusminister wissen das natürlich, wenngleich sie es nie zugeben würden. Vor einem Monat zogen sie eine merkwürdige Konsequenz: Die Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung wird aufgelöst, aber die von ihren führenden Mitgliedern entworfene »Orthografie« bleibt Grundlage des Deutschunterrichts.
Der niedersächsische Ministerpräsident Wulff hat dieser Tage zu erkennen gegeben, daß ihn die feine Dialektik dieser Beschlußlage nicht vollauf befriedigt. Er wolle sich bemühen, das Reformprojekt gänzlich zu beenden. Ob sein Vorstoß Erfolg haben wird, läßt sich noch nicht sagen. Vielleicht bleibt er so folgenlos wie die späte Reue des ehemaligen bayerischen Kultusministers Zehetmair, der vor einem Jahr den Fehler eingestand, die Durchsetzung der Rechtschreibreform betrieben zu haben. Sicher ist einstweilen nur, daß die Befolgung der amtlichen Regeln für niemanden außerhalb der Schulen verbindlich ist. Auch nicht für sozialistische Tageszeitungen.
Unser Autor ist Vorsitzender der Forschungsgruppe Deutsche Sprache und arbeitet als Historiker in Halle und Berlin. Gemeinsam mit Hanno Birken-Bertsch hat er die Studie »Rechtschreibreform und Nationalsozialismus« herausgegeben. Seinen Beitrag hat er in der alten Rechtschreibung verfasst.


Quelle Neues Deutschland, Berlin; per Mail geschickt bekommen...

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