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22.7.2004
VERSCHLIMMBESSERN KÖNNEN DIE LÄNDER DEN NEUSCHREIB AUCH ALLEIN
Lassen Sie's, Frau Weiss

Billiger war sie nicht zu haben, Christina Weiss, die Staatsministerin für Kultur. Gerade hat ein Ministerpräsident der Union den Bund um Hilfe gerufen, um die - seiner Ansicht nach - verkorkste Rechtschreibreform zu stoppen. Da rapportiert sie auch schon brav ihre bestellte Wortmeldung in die Kulturzeitschrift Bild am Sonntag. Sie könne nicht anders, bekannte Frau Weiss nun, als sich in die erneut anschwellende Debatte einzumischen. Die dreht sich um die vielen doppelt scharfen ß-Fehler, um Sinn entstellende/sinnentstellende Trennungen und um greuliche/gräuliche Fehler des Neuschreib. Da müsse sie ran, schließlich sei sie doch die Kulturbeauftragte des Bundes.

Nein, lassen Sies, Frau Weiss. Wenn Sie sich hätten äußern mögen, dann bitte am Beginn der Reform oder in deren Verlauf in den seligen Achtzigerjahren. Damals hätten Sie einbringen mögen, dass ein irgendwie staatlich geartetes Eingreifen in Sprache ein riskantes Unterfangen ist - und man es also unterlassen solle. Zum Beispiel weil sich in einem Land, das mehr Rechthaber als -schreiber zählt, schnell jemand finden würde, der permanent Politiker als Sprachschiedsrichter anrufen würde. Das hätte die Kulturstaatsministerin sagen sollen - als sie noch keine war. Jetzt aber möge sie schweigen. Jeder nämlich, der sich nun zu Wort meldet, macht Fehler. Nur kann keiner so viele Fehler auf einmal machen wie die Kulturbeauftragte des Bundes. Denn Christina Weiss ist ja gar nicht zuständig. Die Länder sind es, und dort die in der Summe stets kulturfeindlich zusammenwirkenden Kultusminister und Ministerpräsidenten. Die Verfassung verlangt - grundsätzlich - die Kulturhoheit der Länder und - insbesondere - beharren die Landesfürsten auf ihr. Sie pochen gerade in diesen Tagen darauf, da eine Verfassungskommission über den Föderalismus streitet. Dabei ist das Beharren auf der Kulturhoheit eine bittere Ironie. Denn niemand anderes als die vermeintlich kulturbeflissenen Länderfritzen waren es doch, die die Fundamente der Kulturnation, die Schulen und Hochschulen, auf eine beispiellose Art heruntergewirtschaftet haben. Jetzt sollen sie, bitte schön, mit ihrer Rechtschreibreform selber klarkommen.

Für Frau Weiss wäre es freilich eine Frage des Anstands gewesen, zu schweigen. Wenn ein Ministerpräsident, wie Christian Wulff es getan hat, eine Regierung um Hilfe anfleht, deren Personal er im gleichen Atemzug als zu ungebildet für eine so delikate Frage schmäht, dann soll er die Sprache doch alleine retten. Dieser Held, der, wie er sich brüstet, schon als Oppositionsführer 25 Pressemitteilungen gegen die Rechtschreibreform verfasst hat. So viel Schreiberfahrung ist unschlagbar. Übernehmen Sie, Herr Wulff. "CHRISTIAN FÜLLER

taz Nr. 7415 vom 22.7.2004, Seite 11, 58 Zeilen (Kommentar), CHRISTIAN FÜLLER


Quelle: taz, 22.7.2004

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