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4.3.1998
Mutter besiegt Schröder vor Gericht

Hannover - "Es war einmal ein Verkehrsminister, der das Gefühl hatte, zu nichts nutze zu sein (was ja auch stimmte). Er dachte lange darüber nach, wie er sich denn ein Denkmal setzen könnte, damit man ihn nicht länger ignorierte. Da hatte er eine Idee. Die Leute sollten in Zukunft links fahren!" Mit diesen Sätzen beginnt eine köstliche Parabel auf die Rechtschreibreform . Mit dem Verkehrsminister ist der niedersächsische Kultusminister Rolf Wernstedt gemeint, lange Zeit Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK) und damit hauptverantwortlich für das Desaster der Rechtschreibreform . Und mit der Linksfahrregel spielt die Geschichte auf die mißglückten neuen Schreibvorschriften an. Sie endet wie derzeit der Rechtschreibstreit: "Das Durcheinander war perfekt."

Verfasserin der amüsanten Geschichte ist die 39jährige Universitätsverwaltungsangestellte Gabriele Ruta aus Bardenfleth, Kreis Wesermarsch. Die dunkelhaarige Frau hat geschafft, wovon Helmut Kohl derzeit nur träumen kann: den niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder dreimal zu besiegen, wenn auch nur vor Gericht. Schon seit der zweiten Entscheidung vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg trat Schröder aus Furcht, das Thema könnte ihm den Landtagswahlkampf verhageln, die Flucht nach vorn an: Er stoppte die Rechtschreibreform landesweit. Seitdem ist Niedersachsen Modelland für das Ende der Reform.

Aber Ruta, die ihre achtjährige Tochter Josephine vor dem neuen Schreibchaos bewahren will, hat noch mehr erreicht. Sie hat soeben den ersten juristischen Sieg in der Hauptsache gegen Schröder erstritten. Und sie weiß darüber hinaus eine starke "Hausmacht" der Bevölkerung hinter sich: Zusammen mit ihrem Lebensgefährten hat sie die bundesweit erfolgreichste Bürgerinitiative "Wir gegen die Rechtschreibreform " aufgezogen und bereits mehr als 400 000 Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt.

Noch ist nicht sicher, ob Schröder einen vierten Gerichtsgang gegen die beherzte Mutter wagt. Zwar hat sein Rechtsvertreter, der Bonner Verfassungsrechtler Wolfgang Löwer, Revision beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg angekündigt. Aber dort war die niedersächsische Regierung in gleicher Sache schon einmal unterlegen. Und "Insider" niedersächsischer Politik wollen durchaus nicht ausschließen, daß sich Schröder den Coup nicht entgehen läßt, die laut Meinungsumfragen von 75 Prozent der Bevölkerung abgelehnte Reform mitten im Bundestagswahlkampf eigenhändig zu kippen. Denn nur der Ausstieg eines einzigen Bundeslandes würde genügen, sie in allen Teilnehmerstaaten augenblicklich zu beenden.

Dafür hat das Verwaltungsgericht Hannover Schröder wie auch dessen Ministerpräsidentenkollegen alle erdenklichen Begründungshilfen gegeben. Gelassen dozierte der Vorsitzende der 6. Kammer, Helmut Weidemann, Sprache und Schrift hätten etwas "mit der Würde und der freien Entfaltung eines jeden Menschen" zu tun. Sie seien älter als der Staat und unterlägen eigenen Entwicklungsgesetzen. Weidemann erinnerte an Jakob Grimm, der die Sprache als "Gut und Erbe aller Menschen" und den Philosophen Martin Heidegger, der sie als "Haus des Seins" bezeichnet habe.

Der nachdenkliche Jurist schlußfolgerte daraus, es sei deshalb keiner Regierung erlaubt, in der Rechtschreibung einfach herumzudoktern. Er verwies auf Mängel bei der Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens zur Einführung der neuen Schreibweise. Ferner monierte er das Versäumnis, nach Erscheinen der Wörterlisten, die die Probleme erst greifbar gemacht hätten, keine zweite Anhörung anzuberaumen. 500 bis 1000 Wörter würden aus dem deutschen Wortschatz getilgt, die elterlichen Erziehungsrechte seien eingeschränkt, aber auch die persönlichen Rechte der Klägerin, die ja selbst "als Teilnehmerin der Sprachgemeinschaft und Deutsche" wie als Mutter betroffen sei. "Eine Rechtfertigung für einen derartigen Eingriff", so die Richter, "sehen wir nicht."

Genau das hatte zuvor Mutter Gabriele zu bedenken gegeben. Und sie hatte die Anwälte mit der schlichten Feststellung beschämt: "Meine Tochter möchte sehr wohl so schreiben wie ich. Sie liest ja auch mehr zu Hause als in der Schule. Ist es denn nicht die Aufgabe der Schule, die Kinder auf das Leben vorzubereiten?" In einem Punkt freilich wird sich Frau Ruta wohl doch korrigieren müssen. Ihre Parabel braucht einen neuen Schluß. "Linksfahr-Minister" Wernstedt ist aus der Kurve geflogen und wird - wie verlautet - durch die Staatssekretärin Renate Jürgens-Pieper ersetzt. Ob die mehr dem Rechts- oder Linksverkehr zuneigt, ist unbekannt.


Quelle: Die Welt; per Mail geschickt bekommen...

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